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       alt=     Statistische Auswertung


Bürgermeister in Niedersachsen mit bzw. ohne Stichwahl

Es wurden ausgewertet:
Die Wahlen zu den hauptamtlichen Bürgermeistern in den niedersächsischen Gemeinden am 10.9.2006 sowie die Stichwahlen am 24.9.2006 (vergl. Anlage).

Als Quellen wurden herangezogen:
Die vom Landeswahlleiter im Internet veröffentlichten Statistiken:
Unterpunkt 1 Ergebnisse der Stichwahlen am 24. September 2006
Unterpunkt 2 Ergebnisse des ersten Wahlgangs am 10. September 2006

Stichwahlen wurden in 82 der 318 Gemeinden durchgeführt, das sind 25,8 % der Wahlgebiete. Bei 26 Wahlen (=8,2 % aller Gemeinden) hat der zunächst Zweitplatzierte das Bürgermeisteramt gewonnen. Somit hat die Durchführung der Stichwahl erkennbaren Einfluss auf die politische Landschaft genommen.

Die Ergebnisse im Detail:

(1.)  Unter dem Strich brachten die untersuchten Stichwahlen einen Zuwachs an demokratischer Legitimation. In 53 von 82 Gemeinden mit Stichwahl (=65%) hat der durch die Stichwahl gewählte Kandidat mehr Stimmen erhalten als der Erstplazierte im ersten Wahlgang. Lediglich in 29 von 82 Gemeinden (=35%) war es umgekehrt; hier wirkte sich der Effekt aus, dass bei Stichwahlen in der Regel eine niedrigere Wahlbeteiligung zu verzeichnen ist als im ersten Wahlgang.

(2.)  Die tendenziell niedrigere Wahlbeteiligung bei Stichwahlen ist auch auf die Beobachtung zurückzuführen, dass weniger Wähler zur Stichwahl gehen, wenn der Wahlausgang sehr klar erscheint. Diese angeblich klaren Verhältnisse können allerdings manchmal auch ein Trugschluss sein. So verlor z.B. in Oldenburg der SPD-Kandidat einen 43,4% zu 26,8%-Vorsprung noch an den CDU-Kandidaten und in der Gemeinde Hinte hatte der SPD-Kandidat trotz eines 49,4%-Zwischenstands am Ende mit 37,1% das Nachsehen gegenüber einem Einzelbewerber.

(3.)  Ein Wegfall der Stichwahlen bei der Wahl 2006 hätte dazu geführt, dass ggf. auch Kandidaten mit sehr niedrigen Zustimmungsraten gewählt worden wären. In der Stadt Northeim z.B. hätte der Kandidat lediglich 31,0% für die Wahl benötigt, die Kandidatin in Barsinghausen 31,4% (dort wurde die Reihenfolge des Erstwahlgangs durch die Stichwahl umgedreht, in Northeim hingegen siegte der anfangs Führende).

(4.)  Es gibt keine Regel, dass bestimmte Parteien immer von Stichwahlen profitieren und andere immer durch Stichwahlen benachteiligt sind, weil bei jeder Partei Auswirkungen in beiderlei Richtungen zu beobachten sind. Allerdings scheint die CDU öfter Schwierigkeiten zu haben, ihre Wähler bei Stichwahlen zu mobilisieren. Für Einzelbewerber hingegen vergrößert sich durch die Stichwahl die Chance, als Sieger ins Ziel zu kommen; dieser Befund wird auch durch Untersuchungen in anderen Bundesländern untermauert. Auch kann man aus grundsätzlichen Überlegungen heraus sagen, dass eine Abschaffung der Stichwahl vor allem die kleinen Parteien benachteiligen würde (vergl. Absatz 5).

Die folgende Tabelle zeigt, wie sich der Wegfall der Stichwahl 2006 in Niedersachsen auf die Parteizugehörigkeit der jeweils gewählten Bürgermeister ausgewirkt hätte:

Gewonnene Wahlen: Summe SPD CDU EWV* WG* FDP
(a) Keine Stichwahl erforderlich 236 85 80 68 2 1
(b) Ergebnis der Stichwahl identisch
  mit Ergebnis des ersten Wahlgangs
56 25 13 16 2 0
(c) Ergebnis der Stichwahl anders als
  das Ergebnis im ersten Wahlgang:
  (ca) Stichwahl zu Gunsten von
  (cb) Stichwahl zu Ungunsten von
26

+11
(-8)


+4
(-14)


+10
(-4)


+1
(-0)


+0
(-0)

  Summe SPD CDU EWV* WG* FDP
Bürgermeisterposten mit Stichwahl 318 121 97 94 5 1
Bürgermeisterposten ohne Stichwahl 318 118 107 88 4 1

* EWV=Einzelwahlvorschläge,  WG=Wählergemeinschaften

Wenn bei der Kommunalwahl 2006 nicht das Ergebnis der Stichwahlen, sondern ausschließlich das Ergebnis des ersten Wahlgangs berücksichtigt worden wäre, hätte die CDU 10 Bürgermeister mehr gestellt, während die anderen Parteien auf insgesamt 10 Bürgermeisterposten hätten verzichten müssen (davon: SPD 3, Einzelwahlvorschläge 6, Wählergemeinschaften 1). Es muss allerdings betont werden, dass wir es hier nur mit einer Momentaufnahme zu tun haben. Wenn sich das Machtgefüge zwischen den einzelnen Parteien verschiebt (was ja ständig passiert), könnte ein Wegfall der Stichwahlen zukünftig auch ganz andere Nutznießer bzw. Leidtragende hervorbringen.

(5.)  Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die obigen Ergebnisse nur dann die tatsächlichen Folgen der Abschaffung von Stichwahlen widerspiegeln, wenn der Wegfall der Stichwahl die Rahmenbedingungen und das Verhalten der Wähler ansonsten unbeeinflusst lassen würde. Dies ist aber nicht gegeben, denn wenn bei einer Wahl schon im vorhinein bekannt wäre, dass es nur einen einzigen Wahlgang gibt, dann würden sich sowohl die Zahl der Kandidaturen wie auch das Wählerverhalten ändern - aus den folgenden Gründen:

(5.a)  Da es eine ungleich größere Hürde bedeutet, gleich im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten zu müssen, als lediglich auf einem der beiden vorderen Plätze zu landen, würden diese objektiv verminderten Erfolgsaussichten manche Kandidaten dazu bewegen, gar nicht erst zur Wahl anzutreten. Auch könnte es sein, dass eine kleinere Partei sich dem Druck ihres größeren Koalitionspartners beugt und gar nicht erst einen eigenen Kandidaten aufstellt oder diesen vor der Wahl wieder zurückzieht, um den Wahlerfolg des größeren Koalitionspartners wahrscheinlicher zu machen und ihm nicht unnötig Stimmen wegzunehmen. Beide Effekte würden dazu führen, dass die Wähler weniger Auswahlmöglichkeiten auf dem Stimmzettel hätten und die Konzentration auf größere Parteien gefördert würde.

(5.b)  Außerdem würde jede kleinere Partei und jeder Einzelbewerber automatisch weniger Stimmen erhalten, als dies den wahren Präferenzen der Wähler und somit der wahren Stärke dieser Partei entspricht. Denn viele Sympathisanten einer kleinen Partei würden taktisch wählen, um ihre Stimme nicht an einen (tatsächlich oder vermeintlich) chancenlosen Kandidaten zu verschenken. Ohne Stichwahl müssten die Wähler schon im ersten und nunmehr einzigen Wahlgang entscheiden, ob sie eine "Gewissensstimme" zugunsten ihres eigentlichen Lieblingskandidaten abgeben wollen oder vielmehr eine taktisch motivierte "Leihstimme", um bei der Besetzung des Bürgermeistersessels mitreden zu dürfen. Folglich würden die Deformationen des Wählerwillens durch eine Abschaffung der Stichwahl in Wirklichkeit noch um vieles dramatischer ausfallen, als die Simulationsrechnung in obiger Tabelle vermuten lässt.


Anhang
zur Analyse "Bürgermeisterwahlen mit/ohne Stichwahl"

Das statistische Material, auf dem die obigen Schlußfolgerungen beruhen, ist als PDF-Dokument hier abrufbar.


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